Florian Kaufmann

Freier Journalist

„In Berlin oder Hamburg gibt es schon genug“

Die Mitorganisatorin Magdalena Schweizer über das politische Camp AMS und Herausforderungen im tiefsten Schwarzwald

Was ist das Besondere am AMS-Camp?

Dass viele junge Menschen das ganze Jahr auf dieses Camp hinarbeiten und es mitten im Schwarzwald für ein paar Tage einen linken Ort gibt, der stilvoll und mit viel Liebe gestaltet ist. Bei uns nehmen im Gegensatz zu vielen anderen Festivals, Kultur und Politik eine gleichwertige und wichtige Rolle ein. Deshalb ist es uns wichtig, das AMS als Camp und nicht als Festival zu bezeichnen. Wir sind vor allem ein Camp, das politische Bildung in Form von Workshops und einem Kulturprogramm vermittelt, wobei die Kulturacts eine politische Message vermitteln können, aber nicht müssen. Wir suchen die Künstler*innen so aus, dass sie politisch passen und wir wollen außerdem nicht, dass nur weiße Männer auf der Bühne stehen.

Wie gelingt es noch, Politik und Kultur zu verbinden? Das bringt ja auch bei den Besucher*innen eine andere Erwartung mit sich.

Ja, zum Beispiel sind die Partys an den ersten Camp-Tagen reduziert. Spätestens um 3 Uhr ist die Musik aus, sodass die Leute einigermaßen ausgeschlafen die Workshops am nächsten Tag besuchen können. Erst am Samstag ist eine Eskalation auch eingeplant und der Sonntag dann workshopfrei. Zudem ist es während der Workshops sehr ruhig auf dem Camp, wodurch die Menschen motivierter sind, einen der 20 Workshops zu besuchen.

Wer kommt zum AMS?

Da müssten wir mal eine Umfrage machen. In diesem Jahr sind viele Leute da, die wir noch nie gesehen haben, auch viele junge Menschen. Ansonsten erreichen wir vor allem die linke Blase. Menschen, die zuvor keine Berührung mit linker Politik hatten, kommen bis auf Ausnahmen selten. Die meisten Leute hier sind angefixt von Politik und kommen deswegen zum AMS.

Nehmen Sie uns mal ein bisschen mit in die Anfangszeit des AMS, in einem kleinen Dorf im Nordschwarzwald.

Wir waren eine Gruppe von etwa zehn Leuten aus einem 1000-Einwohner*innen-Dorf. Als ich 16 war, haben wir in der Kulturwerkstatt Simmersfeld, die ein Großteil unserer Eltern gegründet hat, angefangen, Punk-Konzerte zu veranstalten. Leider erreichten wir in der Gegend aber kaum Publikum, sodass wir angefangen haben, Busse zu organisieren, die die Punks aus Pforzheim nach Simmersfeld gekarrt haben. Da gab es schon einige Clashs mit der lokalen Bevölkerung, aber das war auch oft lustig. Irgendwann sind die meisten unserer Gruppe nach Berlin, Leipzig oder Freiburg umgezogen und wir überlegten, wie wir trotzdem noch etwas gemeinsam machen konnten. Ein gemeinsames Camp schien uns der logische Schritt. Beim ersten Mal waren es noch 100 Besucher*innen, im nächsten Jahr schon 200.

Gab es in dem Schwarzwalddorf Unterstützung für das AMS?

Ja, ein Bauer hat uns seine Wiese kostenlos zur Verfügung gestellt. Später haben uns auch die Leute geholfen, die Geld mit dem AMS verdient haben, wie der Bäcker im Ort. Dazu konnten wir die ganze Infrastruktur und Technik aus dem Kulturzentrum unserer Eltern nutzen. Sonst gab es aber im Ort wenig Resonanz, außer ein paar wenigen, die immer wieder Stress machen wollten. Bei einem der ersten AMS kamen junge Menschen aus dem Dorf, haben uns angebrüllt und kleine Rauchtöpfe gezündet. In den ersten Programmheften hatten wir eine eigene Rubrik »Wie umgehen mit Dorfleuten?«, da es regelmäßig auch zu bedrohlichen Situationen kam. Die haben gemerkt, dass wir Linke sind und in deren Augen komisch aussahen. Damit kamen die nicht klar.

Sie haben bereits Ihre Eltern angesprochen. Ist das auch eine Generationenfrage, die einen bauen das Haus, die nächsten das Camp?

Unsere Eltern sind nicht die klassischen Simmersfelder. Die leben schon seit den 1980ern dort, sind aber noch immer nicht vollständig integriert. Bis heute sind die die »Neigschmeckte«. Auch in die Kulturwerkstatt kommen nicht wirklich viele Leute aus Simmersfeld, einige lehnen es bis heute ab. Es ist sicherlich eine Entwicklung. Unsere Eltern sind von der Stadt aufs Land gegangen, um dort etwas zu verändern. Wir sind dann wieder vom Dorf in die Stadt gezogen. Da sind wir sicher Kinder unserer Zeit.

Wie ging es mit dem AMS weiter?

Jahr für Jahr wurde das Camp in Simmersfeld größer. Zuletzt waren es 800 Leute und wir kamen an die Grenze der Infrastruktur. Außer einem Skilift, von dem wir Starkstrom ziehen konnten, gab es in Simmersfeld nichts. Dazu kam, dass AMS-Besucher*innen dem Bauern, der uns das Grundstück zur Verfügung stellte, den Tierschutz auf den Hals gehetzt haben, da sie eine nicht artgerechte Katzenhaltung vermuteten. Da kam nichts raus, aber der Bauer wollte uns seine Wiese verständlicherweise nicht mehr geben. Wir suchten Ersatzflächen in der Umgebung, fanden aber nichts Passendes und sind dann letztlich hier in den Südschwarzwald umgezogen. Wir wollten unbedingt in Süddeutschland bleiben. In Berlin, Hamburg und so weiter gibt es schon genug, wir wollen aber auch hier eine große politische Veranstaltung etablieren.

Klappt es mit dem AMS im Schwarzwald auch politisch etwas zu verändern?

Ich würde sagen, nein. Da muss man ehrlich sein. Es gibt Einzelne aus der Region, die über das AMS begonnen haben, sich politisch oder kulturell zu engagieren. Aber Menschen außerhalb der linken Blase sprechen beispielsweise nicht immer politisch korrekt, so wie viele innerhalb der linken Bubble das erwarten. Das führt bei manchen Camp-Teilnehmenden wiederum zu Verletzungen. Da kommt es immer wieder zu herausfordernden Situationen. Aber es ist nicht so, dass wir nichts erreicht haben. Menschen, die hierherkommen und zuvor eine schwammige oder vereinfachte Kritik am Kapitalismus hatten, erhalten hier auf jeden Fall eine fundiertere Kritik. Da erreichen wir politisch schon etwas, nur nicht in der direkten Umgebung unseres Veranstaltungsortes.

Was ist dann für Sie der politische Moment zu sagen, ich freue mich auf das nächste AMS?

Ich habe diesmal den Workshop »Verinnerlichte Sexismen« mit fast 100 Teilnehmenden gesehen, und abends hat mir eine Person sehr berührt erzählt, wie sehr sie die Diskussion dort empowert hat. Das sind natürlich grandiose Momente, die auch für das kommende Jahr motivieren. Wenn ich sehe, dass von den knapp 1000 Menschen auf dem Camp 800 gerade im Workshop sind, merke ich, dass das Konzept funktioniert. Da kenne ich kaum andere Beispiele, in denen politische Vermittlung für so viele Menschen an einem Tag gelingt.

Obwohl die Organisator*innen bundesweit verstreut sind, gibt es das AMS-Camp seit mittlerweile 14 Jahren. Das zeigt schon ein hohes Maß an Verbindlichkeit zu dem Projekt.

Es macht auch Spaß. Mit Auf- und Abbau sind wir drei Wochen im Schwarzwald. Das ist total viel Arbeit, aber es entstehen auch Freundschaften und es sind drei Wochen gemeinschaftliches Leben. Danach habe ich Entzugserscheinungen und falle regelmäßig in ein Loch, wenn ich wieder in den vereinzelten Alltag komme. Wenn ich hier bin, weiß ich, warum ich das mache.

Wie kommen dann trotzdem neue Leute in die Organisation?

Es gibt nicht nur einen Orga-Kreis, sondern verschiedene Gruppen, die Verantwortung übernehmen. Wenn die Menschen einen konkreten Bereich übernehmen, bauen sie eine Verbindung auf. Ein Beispiel ist der Punx-Palast. Das war am Anfang nur ein kleines Zelt, eine Pommesbude. Jetzt ist es zu einem eigenen, großen Floor geworden, weil es den Beteiligten so Spaß gemacht hat. Wir versuchen immer wieder Gruppen einzubinden oder dass Menschen hier zu einer Gruppe werden. Wer sich hier verwirklichen kann, bleibt dabei.

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