Gemeinschaftlich, politisch, kollektiv – seit über 40 Jahren besteht die Buchhandlung im Schanzenviertel. Sie ist seit 1984 als GmbH nach streng genossenschaftlichen Prinzipien organisiert. Wie fast alle heute noch bestehenden Buchladen-Kollektive hatte sie ihren Ursprung in den neuen sozialen Bewegungen der 1970/80er-Jahre. Eine zentrale Zukunftsfrage ist dauerhaft geklärt. Das Haus, in dem sich der Laden auf dem Schulterblatt befindet, wurde vor einigen Jahren mit dem Mietshäuser-Syndikat gekauft und damit dem Markt entzogen: mit Blick auf den Immobilienmarkt des Viertels eine wichtige existenzsichernde Entscheidung.
1979 taten sich politisch Aktive zusammen. Ihr Ziel: In der Bartelsstraße in Hamburg unter einem Dach mit einem Kinderbuchladen und einem Spielzeugladen den Kindern des damaligen Arbeiter*innenviertels ein alternatives, fortschrittliches Angebot zu machen. Den vier Gründer*innen ging es dabei nicht um die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts. Mit einem Startkapital von 20.000 DM sollte das Kinderzentrum, inspiriert durch die Kinderladenbewegung, eine pädagogisch-wertvolle und ökologisch-gesunde Alternative bieten. Diese sollte gemeinschaftlich und mit den Initiativen des Viertels gestaltet werden. Einige der Gründer*innen wohnten zugleich in der darüber liegenden Wohnung. Über lange Jahre zahlten sie sich nicht mehr als 400 Euro monatlich aus. Wichtiger als Geld war ihnen, Kindern einen alternativen Raum und Stoff zum Lesen und Schmökern zu geben.
Grundsätze bewahrt
Mit dem Viertel veränderte sich in den 1980er-Jahren auch der Buchladen. Als die großen Fabriken mit teils bis zu 500 Arbeitskräften schlossen, strömten die alternative Szene und Studierende in das Viertel. Im einzigen Buchladen der Gegend wuchs die Nachfrage nach politischer Literatur und später auch Belletristik. Der Laden passte sein Sortiment an und eröffnete 1991 auf dem Schulterblatt einen zweiten Buchladen für Erwachsene. Kurz zuvor hatte die politische Buchhandlung Gegenwind ihr Geschäft an der Universität geschlossen. Von einst elf politischen Buchläden in Hamburg bestehen heute noch drei in der Stadt.
Mit der Filialeröffnung hielt die Professionalisierung endgültig Einzug in der Buchhandlung im Schanzenviertel. Seither können alle Kollektivist*innen von der Arbeit im Laden leben und ein Gehalt erzielen, das sich durch eine weitgehende Urlaubsregelung auf dem Niveau anderer Buchhandlungen bewegt. Seit 1984 gilt eine 4-Tage Woche mit einem Urlaubsanspruch von acht Wochen pro Jahr. Zudem wurde ein Einheitslohn für alle Beschäftigten festgesetzt, die gleichzeitig Gesellschafter*innen werden mussten. Der Gesellschaftsvertrag legt gleiches Stimmrecht für alle fest, unabhängig von der Höhe ihrer GmbH-Einlage. Zudem können die Geschäftsanteile ohne die Zustimmung der Gesellschaft nicht vererbt werden und der Gewinn muss für Investitionen in der Gesellschaft verbleiben.
Immer wieder geriet die kollektive Struktur ins Wanken, wenn beispielsweise einzelne Mitarbeiter*innen nicht zusätzlich Gesellschafter*innen werden wollten. Teile der jeweiligen Belegschaft wollten die Kolleg*innen trotzdem behalten, andere pochten auf die kollektive Verfassung. Die Trennung in zwei Filialen mit jeweiligem Alltagsgeschäft und unterschiedlicher Intensität des Kontakts innerhalb des Kollektivs machte Konfliktlösungen nicht einfacher. Doch bei Fragen der kollektiven Organisierung setzten sich immer die Kräfte durch, die für ein echtes Kollektiv eintraten. Die beiden Buchläden blieben unter einem GmbH-Dach und alle zehn Beschäftigten weiterhin ihre Gesellschafter*innen und Geschäftsführer*innen. Dadurch entstehe „kollektive Zusatzarbeit“, die an manchen Tagen auch fast die Hälfte der Arbeit ausmache, so Jutta Lux, Mitglied des Schanzenbuchladenkollektivs. Doch trotz des größeren Zeitbedarfs schätzt sie die Gemeinsamkeit und den Austausch im Kollektiv, die der Arbeit Sinn und Gemeinschaft gibt. Dazu gehöre auch geteilte Verantwortung.
Mit Veränderungen Schritt halten
Verantwortung mussten die Mitglieder auch in wirtschaftlichen Krisen übernehmen. Ende der 1990er-Jahre erfasste der Strukturwandel mit dem Aufkommen großer Filialisten und dem Internet den Buchhandel. Auch der Schanzenbuchladen war erheblich betroffen. Im Gegensatz zu vielen kleinen und mittleren Buchhandlungen konnte er den Wandel überleben. Dazu trugen vor allem die Mitarbeiter*innen bei, die zur Abwendung einer Insolvenz auf Teile des Gehalts verzichteten. In den letzten Jahren konnten sich die Mitglieder hingegen ein ums andere Mal ein zusätzliches Urlaubsgeld auszahlen.
Die positive Entwicklung des Buchladen-Kollektivs ist untrennbar mit der Entwicklung des Viertels verbunden. Das Schanzenviertel und vor allem das Schulterblatt wurden zur Flaniermeile der Stadt. Besonders am Wochenende werden Tourist*innen von überall anlockt. Dem linken Buchladen hat die Gentrifizierung geholfen. Er passte sich den neuen Gegebenheiten an, ohne seine politischen Ideale zu verraten. Gemeinsam bestimmt das Kollektiv, welche Bücher verkauft werden. Dabei sind rechte, sexistische und andere diskriminierende Werke ausgeschlossen. Der Laden am Schulterblatt fungiert noch heute zum Teil als linker Infoladen, ohne dabei Schwellenangst für den Bänker zu erzeugen, der hier sein Buch bestellt, betont Mitarbeiterin Lux. Die Klientel des Ladens ist so bunt wie das Viertel. Auch Tourist*innen finden hier ihren Zugang.
Nicht nur der Laden am Schulterblatt ist eine Institution der linken Szene in der Schanze. Auch der Kinderbuchladen blieb eng mit den Initiativen und Kindereinrichtungen des Stadtteils verbunden. Noch heute finden regelmäßig Kita-Elternabende im Kinderbuchladen statt. Wichtige Entscheidungen werden weiterhin in den Ladensitzungen aller Kollektivist*innen besprochen. Von den früheren politischen Diskussionen bei Wein und Essen sind heutige Treffen allerdings weit entfernt. Die abwechselnd alle zwei Wochen stattfindenden Ladensitzungen in den einzelnen Filialen oder im Gesamtkollektiv arbeiten über mehrere Stunden nach Feierabend die zentralen organisatorischen und perspektivischen Fragen des Betriebs ab. Das sei schon anstrengend, so Jutta Lux, gehöre aber dazu.