Die ersten Auswirkungen des Klimawandels sind unübersehbar. Zwar präsentiert sich der Sommer in diesem Jahr eher feucht als mit anhaltender Hitze. Doch schon der ersten Hitzewelle hielten die KVV-Gleise nicht stand und von Überschwemmungen ist auch die Region nicht verschont geblieben. Den wissenschaftlichen Erkenntnissen folgend, ist das erst der Anfang und die Folgen werden in den nächsten Jahren noch weitaus gravierender. Die Stadtplanung muss darauf reagieren, sind Experten überzeugt. Doch anders, als an einigen Stellen der Stadt gebaut wurde.
„Wir müssen davon ausgehen, dass es vor allem darum geht, das Leben in der Stadt erträglicher zu machen“, sagt Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung am KIT Karlsruhe. In den vergangenen Jahren war die Temperatur in Karlsruhe um durchschnittlich 1,8 Grad höher als im langjährigen Mittel zwischen 1961 und ’90. Die Anzahl der heißen Tage und Tropennächte soll weiter zunehmen. Auch sein Kollege Jan Riel von der Hochschule Karlsruhe ist pessimistisch bei der Frage, ob die Erhitzung der Städte noch zu stoppen ist: „Die globale Erwärmung werden wir in den nächsten Jahren sicher nicht aufhalten können, dazu sind die politischen Rahmenbedingungen national und international viel zu wenig ambitioniert.“ Städte müssten trotzdem alles tun und dabei helfen, den Klimawandel zu bremsen. Die kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten gilt es aber auch und vor allem bei Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zu nutzen. „Die Überwärmung der Städte gegenüber ihrer Umgebung kann sehr wohl aufgehalten und auch wieder reduziert werden, wenn man geeignete stadtplanerische Maßnahmen ergreift“, ist Stefan Emeis vom KIT-Zentrum Klima und Umwelt überzeugt.
In der Stadt Karlsruhe wurde 2013 das Konzept „Anpassung an den Klimawandel“ beschlossen, das rund 50 Maßnahmen in 16 Handlungsfeldern umfasste. Gebäude, Gewässer, Stadtgrün und Boden wurden darin ebenso thematisiert wie Landwirtschaft, Wasser, Energie oder das Arbeitsleben. Diese Klimaanpassungsstrategie wurde fortgeschrieben und im vergangenen Monat um 30 Maßnahmen ergänzt. Eine der wichtigsten und dringendsten Maßnahmen, da sind sich die Experten einig, ist die Abkehr von Asphalt und Beton. „Erste Wahl und erste Maßnahme ist die massive Begrünung des öffentlichen Raums“, sagt Riel. Bäume brächten nicht nur Schatten, sondern wirkten auch kühlend. Die Stadtverwaltung zählte 2020 im Stadtgebiet 140.615 Bäume, deren Zahl in den vergangenen Jahren angestiegen sei. In der Regel würden in der Stadt pro Jahr etwa 700 bis 800 neue Bäume gepflanzt.
Doch nicht nur durch Bäume, auch die allgemeine Begrünung und Entsiegelung des öffentlichen Raums helfe, die Erhitzung abzumildern, aber auch Versickerungsfläche bei starken Niederschlägen zu schaffen. „Das große Problem im Sommer sind die langen Dürrephasen. Das macht es sehr trocken und unangenehm. Daher gilt es, das Wasser auf den Oberflächen so lange wie möglich zu halten“, sagt Neppl. Die Stadtverwaltung verweist dabei auch auf die Ausweitung öffentlicher Grünflächen. Diese hätten sich seit 2011 von 1.038 Hektar auf 1.052 Hektar im Jahr 2018 erhöht. Emeis kritisiert in diesem Zusammenhang als „Negativ-Beispiel“ die Neugestaltung des Marktplatzes. „Der neue, nahezu vegetationsfreie Marktplatz ist nicht dazu geeignet, das Temperaturniveau herabzusetzen.“
Beschattung und Begrünung seien „zentrale Elemente der klimaangepassten Gestaltung“, sagt die Stadtverwaltung. Beim Marktplatz hätten jedoch „unterirdische und oberirdische Nutzungsansprüche“ durch die U-Strab-Haltestelle, Versorgungsleitungen oder die Weihnachts- und Wochenmärkte dauerhaften Pflanzungen im Weg gestanden. Zur Begrünung des Marktplatzes werde allerdings mit Kübelpflanzen gearbeitet und eine Beschattung durch ein Sonnensegel geprüft. Im Falle des Alten Schlachthofs verhinderten „Bodenkontamination mit Altlasten“ eine Entsiegelung des Areals. Nach Auskunft der zuständigen Fächer GmbH ist zur notwendigen Grundwassersanierung ein Zeitraum von 50 bis 100 Jahren erforderlich.
Ein angenehmeres Stadtklima ist aber auch bei bebauten Flächen zu erreichen. „Fassadenbegrünung sieht nicht nur schön aus, sondern reduziert auch die Fassadentemperatur und verhindert, dass sich Fassaden aufheizen“, sagt Neppl. In den aktuellen Bebauungsplänen sei ein „Anteil an Fassaden- und Dachbegrünung“ vorgesehen. Zudem würden Pläne vorbereitet, die entsprechende Regelungen auch für bestehende Bebauungspläne vorsehe, sagt die Stadtverwaltung. Als gelungenes Beispiel in Sachen Stadtklima führt Emeis den Citypark Ost an. Mit „eng beieinanderstehende Gebäude mit hellen Fassaden, die sich gegenseitig abschatten, Gründächer und Parkanlagen“ würde eine „klimagerechte Gestaltung“ erreicht. In anderen Projekten aber würden „ästhetische Fragen in der Architektur häufig immer noch gegenüber klimarelevanten Fragen dominieren“. Beispielhaft seien „großflächige Glasfassaden statt teilbegrünten Fassaden“.
Wesentlich für die Abkühlung der Stadt wirken darüber hinaus Frischluftschneisen. Seit der Verabschiedung der Klimaanpassungsstrategie seien allerdings keine Schneisen verbreitert oder neue geschaffene worden, muss die Stadtverwaltung berichten. Dazu sei der Abriss von Bestandsgebäuden nötig. Doch bestehende Schneisen werden immer wieder durch Neubauten gefährdet. Beispielhaft wird dabei die hohe Bebauung im Süden des Hauptbahnhofs kritisiert. Die Stadt betont dagegen bestehende Durchlüftungsschneisen erhalten zu wollen und setzt zusätzlich auf eine „kleinteilige Begrünung von Höfen und Plätzen“. Während in der Südweststadt die Wohnquartiere sehr häufig einen hohen Anteil an entsiegelter Fläche aufwiesen, seien beispielsweise in der Südstadt viele Höfe mit rückwärtigen Werkstattgebäuden und einem sehr hohen Versiegelungsgrad zu finden. Ziel sei es, 50 Prozent dieser Hofflächen zu entsiegeln, um das Mikroklima in den Quartieren zu verbessern. Die Einflussmöglichkeiten der Verwaltung seien aber gering, da sich die Hofflächen fast immer in Privatbesitz befänden.
Durch Sensibilisierung und finanzielle Förderung werde versucht, die Eigentümer von einer Entsiegelung der Flächen zu überzeugen. Privates Eigentum und Interessen sind auch für Neppl eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer klimaangepassten Stadt. „Es sind oft Einigungen mit unendlich vielen Eigentümern nötig. Bei jeder Frage, die wir anfassen, haben wir Widerstände von mindestens zwei Seiten.“ „Der Verlust lieb gewonnener Gewohnheiten wie den Privat-Pkw auf der öffentlichen Straße vor der eigenen Haustür“ sei für viele schwer zu verkraften, sagt auch Riel. Ein gutes Abbild der Diskussion in der Bevölkerung sei der Gemeinderat, „der radikale Brüche vermeidet oder in Teilen die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen zur Klimaanpassung grundsätzlich ablehnt“. In der Stadtplanung würden daher einige Verbesserungen des Stadtklimas gar nicht erst einbezogen, fürchtet Emeis. „Manche sinnvolle Maßnahmen werden nicht gemacht, da man fürchtet, dass die Akzeptanz dieser Maßnahmen nicht gegeben ist“. Neppl plädiert auch daher für kleinräumige Maßnahmen, die von wissenschaftliche Mikromodellen gestützt werden könnten. „Kleine Maßnahmen können einen sehr großen Effekt haben.“ „Eine Stadt ist nie fertig und wird sich immer anpassen müssen“, ist er auch davon überzeugt, dass Veränderungen auch Spaß machen können.