Wenn der Corona-Impfstoff erst da ist und die Kulturbranche aus ihrem erzwungenen Dornröschenschlaf erwacht, viele verschobene Veranstaltungen nachgeholt werden und der Hunger nach Musik, Theater, Kunst endlich wieder gestillt werden kann – dann ist alles wieder gut. Oder?
„Zurück in die alte Normalität hieße für mich zurück in den Wahnsinn“, plädiert der Direktor des ZKM Karlsruhe, Peter Weibel, für die Notwendigkeit aus Corona das „Handwerk der Ferngesellschaft“ mit seinen digitalen Formen zu nutzen. „Man muss die Wirklichkeit anerkennen und nicht weiter behaupten, das Virus verbreitet sich. Denn es sind die Menschen, die durch ihre Massenmobilität das Virus verbreiten“, bilanziert er die „Krise der Nahgesellschaft“.
Im Unterschied zu anderen Museen sei das ZKM schon immer nicht nur ein Offline-, sondern immer schon ein Online-Museum gewesen. Die „digitale Sphäre“ sei durch die Corona-Beschränkungen im ZKM mit neuen Inhalten deutlich verstärkt worden, meint Weibel. Mehrwöchige Live-Übertragungen mit Musik von Frauen aus den letzten 500 Jahren bei der „Feminale der Musik“ und Streaming-Angebote mit Experten-Gesprächen und Diskussion über Messengerdienste nennt er als Beispiele. „Das ZKM ist das bessere ZDF“, verspricht Weibel weiterhin online auf Sendung zu bleiben.
Kultur muss um gesellschaftliche Relevanz kämpfen
Im Lockdown hätten viele Museen sich im digitalen Raum neu entdeckt und gute Erfahrungen gemacht, bestätigt auch Eckart Köhne, der neben seiner Tätigkeit als Direktor des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe auch Präsident des Deutschen Museumsbundes ist. Dies sei aber nur möglich gewesen, da durch die Schließung der Museen Kapazitäten frei wurden. Um die digitalen Formate der Museen auch im Regelbetrieb fortführen zu können, brauche es „zusätzliche Ressourcen, um andere Angebote nicht verringern zu müssen“, so Köhne. Der digitale Raum hätte aber auch Grenzen. „Originalkunstwerke will man direkt sehen und nicht nur digital. Dieses Erlebnis lässt sich online nicht vollständig abbilden“.
Die Corona-Krise hätte gezeigt, dass die Kultur stärker um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen müsse. „Wir merken aktuell, wie politische Entscheider die Relevanzen setzen und dabei ist die Kultur auf den hinteren Plätzen gelandet“, konstatiert Köhne. Es brauche dringend eine Diskussion, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt ausmache. „Wir haben erlebt welche Risiken die ungebremste Globalisierung der Menschen- und Warenströme birgt“, plädiert er auch vor dem Hintergrund anderer Herausforderungen wie der Klimakrise für ein Hinterfragen. „Sollen weiterhin wirtschaftliche Prioritäten über allem stehen?“, fragt er. Auch Kultur werde politisch viel zu häufig über ihre Finanzierung verhandelt. „Wir sollten nicht erst über Geld reden, sondern über die gesellschaftliche Rolle von Kultur sprechen, appelliert er auch an seine Kollegen.
„Corona wirkte wie ein Katalysator und beschleunigte Entwicklungen, die vorher schon da waren“, glaubt auch Felix Grädler, der vor allem an die prekären Beschäftigungsformen in der Kultur, Digitalisierung und Nachhaltigkeit denkt. Grädler vertritt als Vorstand der livekomm die Clubs und Musikspielstätten in Deutschland und hat vor dem Hintergrund der Corona-Krise seinen eigenen Club, die Halle02 in Heidelberg, als Kulturstätte im Juni aufgegeben. Die von körperlicher Nähe abhängigen Clubs seien die letzten, die nach Corona wieder aufmachen dürften, ist Grädler überzeugt. „Von Clubkultur-Light halte ich nichts, das machen andere Clubbetreiber aus Verzweiflung und Schaffensdrang, aber das kann das Live-Erlebnis nicht ersetzen“. Trotz allem böte die Corona-Krise auch Chancen. „Viele Clubs erneuern derzeit ihre Lüftungsanlagen. Von dort ist man schnell bei Themen wie Dämmung und Energieeffizienz, nachdem über Jahre mit alter Substanz gearbeitet wurde“, meint Grädler, der auch die Diskussion zur Verwertung digitaler Rechte für eine angemessene Beteiligung der Künstler begrüßt.
Ausweg im öffentlichen Raum
Was sich wirklich verändert, sei aber erst zu sehen, „wenn es wieder los geht“, ist sich Grädler einig mit Olaf Zimmermann, dem Vorsitzenden des Deutschen Kulturrats, der die Richtung des Corona-bedingten Wandels „gegenwärtig kaum einzuschätzen“ vermag. Er befürchtet, „dass die Zeit mit Corona länger geht, als uns allen lieb ist“ und erwartet, „dass neue Darstellungsformen wie kleine Veranstaltungen, Angebote im Freien und anderes mehr noch länger eine Rolle spielen“ werden.
Christian Hennig vom Kulturverein Die Anstoß e.V. wünscht sich dabei eine stärkere kulturelle Nutzung des öffentlichen Raums, wie er für viele Gaststätten schon möglich gemacht worden sei. Der Verein will die freie Kulturszene in Karlsruhe fördern und Kunst, Architektur, Musik, Theater und Literatur interdisziplinär vernetzen. Neben einem eigenen Projektraum bespielen sie an verschiedenen Stellen der Stadt regelmäßig temporäre Kulturplätze, die „alternative Beiträge zur Stadtentwicklung und sozialpolitische Impulse leisten“ sollen, so Hennig. Er wünscht sich zum Beispiel, dass Parkplätze für eine kulturelle Nutzung offen sein sollen. Zudem plant Anstoß für den kommenden Sommer ein mehrmonatiges Kulturfestival auf dem Kronenplatz, der als „kultureller Raum für alle“ zu einem „Labor für die kooperative Gestaltung von Stadtraum“ gemacht werden soll. Dies vermag auch einer von vielen nötigen Anstößen für die gemeinsame Entwicklung einer Post-Corona-Kultur zu sein.