Florian Kaufmann

Freier Journalist

Tausend Euro für den Lieblingsladen

Der Kaufvertrag mit einer Bioladen-Kette war schon unterschriftsreif. Nach fast 30 Jahren wollten sich die vier Eigentümer des Bio-Supermarkts Füllhorn in Karlsruhe zur Ruhe setzen. Doch als die Mitarbeiter:innen um Sabine Vorwald und Tina Schäfer davon erfuhren, versuchten sie in letzter Minute noch einen anderen Weg zu finden. „Wir haben die Eigentümer um Wartezeit gebeten, um eine Genossenschaft zu gründen“, erinnert sich Vorwald an das wegweisende Gespräch im Herbst 2019. Schon seit einiger Zeit haben sie sich im Füllhorn-Team Gedanken gemacht, wie es im Falle einer nötigen Nachfolgeregelung weitergehen könnte. Ein Kernteam arbeitete bereits sehr lange in dem Bio-Supermarkt und hatte bis dato mit großer Entscheidungsfreiheit wirken dürfen. „Wir wollten weiterhin gemeinsam bestimmen, wie der Laden läuft.“

Immer wieder sprach das Team über eine Genossenschaft. Durch Vorwalds Schwägerin, die bei der GLS-Bank arbeitet, wurde der Traum realer und sogar machbar. Die Bochumer Genossenschaftsbank unterstützt Konzepte für ein nachhaltiges Wirtschaften und sei von den Plänen der Füllhorn-Belegschaft gleich begeistert gewesen. Auch innerhalb der Kundschaft sei der Plan „eingeschlagen wie eine Bombe“, erinnert sich Vorwald. „Als wir öffentlich gemacht haben, dass wir verkauft werden sollen, hatten Kunden Tränen in den Augen“, sagt sie und bekommt beim Erzählen über die „aufregende und bewegende Zeit“ immer noch Gänsehaut.

Innerhalb von nur drei Wochen hatte das Team das erforderliche Eigenkapital von 1,5 Millionen Euro zusammen – von Kund:innen und Lieferant:innen. Der Rest des Kaufpreises wurde über einen GLS-Kredit finanziert. Ab einer Einlage von 1.000 Euro konnte man Mitglied der Füllhorn-Genossenschaft werden, heute sind es 420 Genoss:innen. Bis auf drei Großinvestoren brachten die meisten einen Betrag von bis zu 10.000 Euro ein. Bald könnten erstmals Teile der Gewinne ausgeschüttet werden.

Die Initiative kam aus der Belegschaft

Nach dem Vorbild des Füllhorn sucht derzeit ein weiteres, mit etwa 1.000 Quadratmetern ähnlich großes Einzelhandelsgeschäft nach Genoss:innen, um den Laden weiterführen zu können. Im Karlsruher Basislager gibt es seit 36 Jahren alles zum Reisen, Wandern und für andere Outdoor-Aktivitäten. „Wir sind alle nicht mehr die Jüngsten und es wird Zeit, den Laden in jüngere Hände zu geben“, sagt Stefan Krickeberg, der das Geschäft mit drei weiteren Inhabern führt – sie nennen sich „graue Eminenzen“.

Bereits vor drei Jahren überlegten sie, wie es mit dem Basislager weitergehen soll. Sie hatten drei Möglichkeiten. Den Laden an eine große Kette verkaufen. „Die würden dann eine Filiale daraus machen und ein Drittel der Arbeitsplätze würde wegfallen“, für die Inhaber war das eine schlechte Option. Eine Alternative wäre die „kontrollierte Schließung“ mit einem Abverkauf aller Waren gewesen. Es gab aber einige Mitarbeiter, die sich vorstellen konnten, das Basislager weiterzuführen. Das Problem laut Krickeberg: „Die hatten nicht genug auf der hohen Kante.“

Die Idee zur Genossenschaft kam aus der etwa 40-köpfigen Belegschaft und auch Krickeberg, der bereits Vorstand der Wohngenossenschaft ist, in der er lebt, war gleich angetan. „Den Aufwand auf mehrere Schultern zu verteilen, ist ein tolles Konzept.“ In den kommenden Wochen müssen zur gemeinsamen Weiterführung des Basislagers zwei bis drei Millionen Euro gesammelt werden. Dazu sammelt die Genossenschaft in Gründung noch bis Anfang Februar Absichtserklärungen von künftigen Genoss:innen. Wie beim Füllhorn kosten die Anteile jeweils 500 Euro und es müssen mindestens zwei davon gezeichnet werden. Die Parallelen sind nicht zufällig. Die ältere Genossenschaft beriet vor der Gründung mehrfach. Schon in den ersten Wochen hätten viele ihre Bereitschaft erklärt, sagt Krickeberg.

Kommt das gewünschte Kapital zusammen, erhalten die künftigen Genossenschaftsmitglieder einen fünfprozentigen Rabatt auf ihren Einkauf im Basislager. Mit der Zeichnung eines Genossenschaftsanteils sei aber noch ein wichtigeres Versprechen verbunden, sagt Krickeberg. „Die Genossenschaft arbeitet für das Interesse der Mitglieder, einen schönen Outdoor-Laden in Karlsruhe zu haben.“

Genossenschaften wurden seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert immer wieder als „Kinder der Not“ bezeichnet. In der Landwirtschaft schließen sich Produzent:innen zusammen, um gemeinsam Maschinen und andere Güter und Leistungen zu kaufen, die sie sich alleine nicht leisten könnten. In den vergangenen Jahren gründeten sich zahlreiche Energiegenossenschaften, um Strom und Wärme gemeinsam zu produzieren. In wirtschaftlicher Not sieht Krickeberg das Basislager aber nicht. „Wir werfen keine ungeheuren Renditen ab, aber wir machen von wenigen Jahren abgesehen immer Gewinne.“

Doch in der Karlsruher Innenstadt ist die existenzielle Not vielfach zu sehen. Jahrelange Bauarbeiten an der unterirdischen Straßenbahn und Corona als Brandbeschleuniger für die Krise im Einzelhandel setzen vielen Gewerbetreibenden zu und brachten sichtbaren Leerstand. Im vergangenen Jahr mussten besonders Schuhgeschäfte und andere Modegeschäfte in der Innenstadt für immer schließen. Einige Geschäfte zum Beispiel im Elektronikbereich verkleinerten ihre Flächen teils deutlich. In den vergangenen Monaten gaben mit H&M oder Peek&Cloppenburg auch große Filialisten die Schließung oder Verkleinerung ihrer Flächen in Karlsruhe bekannt. Dazu wächst nicht nur dort die Sorge um eine mögliche Schließung von Karstadt. „Kleine, schöne Läden gab es in Karlsruhe ohnehin kaum, aber jetzt verschwinden auch noch die großen“, sagt Krickeberg.

Während die Innenstadt wie ausgestorben wirke, habe sich das Basislager in den vergangenen Jahren zu einem Anlaufpunkt und Ankermieter entwickelt, sagt Krickeberg. Mit der angestrebten neuen Rechtsform will das Geschäft auch seinen dauerhaften Erhalt sichern. „Die Genossenschaft ist die insolvenzsicherste Rechtsform“, sagt Krickeberg. Dabei profitiert das Basislager wie schon das Füllhorn von einer treuen Kundschaft. Tausende Stammkunden zählt Krickeberg, und dazu gebe es bis zu 40.000 Adressen von Menschen, die bereits einmal im Basislager eingekauft haben.

Kundschaft und Beschäftigte ziehen an einem Strang

Die vielen Stammkunden, die seit Jahrzehnten im Füllhorn einkaufen, sieht auch Vorwald im Rückblick als wesentlichen Faktor des Erfolgs ihres Genossenschaftsmodells. „Die Genossenschaft ist nicht die Musterlösung für alle Läden. Es braucht Kund:innen, die sich engagieren wollen.“ Auch die Belegschaft sei in einem solchen Modell gefordert. „Sie müssen über Grenzen gehen, Verantwortung übernehmen und mindestens in der Anfangszeit auch Mehrarbeit akzeptieren.“ Im Füllhorn hätten dabei alle an einem Strang gezogen und die eigenen Kontakte genutzt, auch wenn es für alle neu und aufregend gewesen sei. „Mir wurde bei dem ein oder anderen Vertrag auch schummrig. Mit solchen Summen habe ich vorher nicht hantiert“, sagt Sabine Vorwald, die heute die Füllhorn Genossenschaft als Vorständin gemeinsam mit Tina Schäfer führt.

Mittlerweile gibt es im Füllhorn einen Aufnahmestopp für neue Mitglieder. „Wir brauchen kein Geld mehr, der Laden wirft Gewinn ab und wir konnten bereits Rücklagen aufbauen“, sagt Vorwald. „Je mehr Mitglieder es gibt, umso schwieriger ist es eine Genossenschaft zu führen. Für die jährlichen Mitgliederversammlungen bräuchten wir dann große Hallen.“ Ausnahmen gebe es aber für neue Mitarbeiter:innen, denen immer auch Anteile angeboten würden. Doch nicht alle der 63 Beschäftigten nähmen die Möglichkeit wahr, sagt Vorwald. „Als Mitarbeiter:in muss man nicht Mitglied werden. Das ist auch oft finanziell schwierig für Einzelhandelsbeschäftigte.“

Vorwald ist nicht nur durch ihren immer noch großen Spaß bei der Arbeit überzeugt, den richtigen Weg gegangen zu sein. „Ich weiß, wofür ich das gemacht habe.“ Auch Krickeberg kann mit dem Genossenschaftsmodell beruhigter loslassen, auch wenn er dem Basislager nicht nur als Aufsichtsrat erhalten bleiben will. „Bei den Leuten, die das machen wollen, kann ich mit gutem Gefühl gehen.“ Er hofft, dass er den Laden schon im kommenden Sommer an die Genossenschaft übergeben kann. Vorwald sieht in dem Genossenschaftsmodell einen Gewinn für alle. Die Beschäftigten könnten so weitermachen wie zuvor. Auch die Kundschaft hätte weiter ihr gewohntes Einkaufserlebnis. Und für den Fortbestand des Ladens? „Für den Einzelhandel ist die Genossenschaft das Beste, was man an Kundenbindung machen kann.“

Kontext-Wochenzeitung