Florian Kaufmann

Freier Journalist

Ein Debakel mit Ansage

Karlsruhe war 1715 eine der letzten Stadtgründungen in Europa, die als Planstadt auf dem Reißbrett entwickelt wurden. Prägend für die Architektur der einstigen Modellstadt war Friedrich Weinbrenner, dessen klassizistische Bauten noch heute das architektonische Aushängeschild der Stadt bilden. Sein Schüler und Nachfolger als Hochschullehrer und staatlicher Bauarchitekt war Heinrich Hübsch, der zu einem der bedeutendsten Architekten des 19. Jahrhunderts wurde. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe wurde vor fast 200 Jahren zu einem seiner prominentesten und prägendsten Bauten, der in den folgenden Jahrzehnten von anderen bekannten Architekten erweitert wurde. Das Haus und die Architektur sind ein eigenes Museum für sich.

In den kommenden Jahren steht der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe eine große Sanierung, Umstrukturierung und Erweiterung bevor. Schon seit über einem Jahr ist die Kunsthalle wegen der anstehenden Bauarbeiten geschlossen. Was alles verändert werden soll, ist allerdings noch immer unklar. Weder steht das für die Erweiterung eingeplante Gebäude schon zur Verfügung, noch gibt es die notwendigen Genehmigungen oder ein Budget für die Gesamtmaßnahme. Was nach einem halsbrecherischen Drahtseilakt eines forschen Investors klingt, ist die Planung der Landesregierung Baden-Württemberg.

Denn was es gibt, sind Pläne. 2018 wurde ein Planungswettbewerb zur Neugestaltung der Staatlichen Kunsthalle durchgeführt. Der Berliner Architekt Volker Staab gewann den Wettbewerb. „Der überzeugt aufgrund der Verbindung von wenigen kraftvollen und gestalterisch eigenständigen Eingriffen in den Bestand mit einer Vielzahl einzelner Maßnahmen, die sich diskret in die denkmalgeschützten Gebäude einfügen“, heißt es vom für den Umbau zuständigen Finanzministerium Baden-Württemberg. Zu den „kraftvollen Eingriffen“ gehört ein vollständig überdachter, tiefer gelegter Innenhof mit einer Schrägfläche und eine unterirdische Verbindung zum Nachbargebäude.

Eher ungünstig: Tunnel und Gefälle

Ein neuer Tunnel? Bei vielen Karlsruher:innen werden da schlagartig die noch kaum verdauten Erinnerungen an die mehr als zehn Jahre dauernden Arbeiten an einem Stadtbahntunnel wach. Die Eröffnung ist kaum ein Jahr her, und das Projekt verschlang mit 1,5 Milliarden Euro letztlich das dreifache der ursprünglich geplanten Kosten. Beim Umbau der Staatlichen Kunsthalle ist ein Tunnel geplant, um das Hauptgebäude mit dem geplanten Erweiterungsbau zu verbinden. Genutzt werden soll er nach Angaben des Finanzministeriums von Besucher:innen, Beschäftigten sowie für interne Material- und Kunstguttransporte. Um den Tunnel unter einer Straße zu bohren, müssen nicht nur ein dichtes Gewebe von Kanälen und Leitungen, sondern auch der historische Gewölbekeller des Museums durchbrochen werden.

Der Tunnel gehörte zu den Direktiven des Bauherrn. Die unterirdische Verbindung war ebenso wie ein großer Innenhof bereits Teil der Ausschreibung für die Planungsentwürfe vom Land. In Staabs Entwurf bildet der Innenhof der Kunsthalle das Zentrum des Haupthauses. Seine tiefe Bodenfläche ist allerdings mit einem dreiprozentigen Gefälle vorgesehen, um das tiefe Niveau des geplanten Tunnels zu erreichen. Für Veranstaltungen, aber auch den normalen Museumsbetrieb befürchtet der renommierte Architekt Hans Kollhoff „eine Rutschpartie“, sagte er gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“, die „Karlsruher Größenwahn“ am Werk sah. Für den Professor, der in Karlsruhe studiert hat, ist die schiefe Rampe eine Zumutung für die Besucher:innen und allenfalls eine Freude für Skateboarder:innen. Das Finanzministerium dagegen sieht in der Schräge dagegen eine „perspektivische Erweiterung“, die es vergleichbar auch in anderen Museen gebe und die Sicherheit nicht beeinträchtige.

Anachronistisches Kunstverständnis

Der Innenhof als „neue Mitte“ soll komplett überdacht und Platz für die Kasse, ein Café und Veranstaltungsfläche bieten. Er soll wie das gesamte Gebäude klimatisiert werden. In seiner Eigenschaft als Multifunktionsraum sei „eine Konditionierung der Raumluft des Innenhofs“ notwendig, heißt es vom Finanzministerium. Der neue Raum muss zudem künstlich erhellt werden. Zum Herz des Museums werde „eine abgedeckelte dunkle Halle, mit Kunstlicht durchflutet und klimatisiert wie eine Mall“, sagt Kollhoff. Ein „klimapolitischer Irrsinn“, klagen andere Kritiker:innen aus dem Kunsthallenumfeld. „Das sind Pläne von vor 20 Jahren“ und eine Energieverschwendung in Zeiten der allgegenwärtigen Klimakrise. Ursache dafür sei ein fehlgeleitetes Kunstverständnis. Um international bekannte Kunstwerke zu leihen und auszustellen, wird eine Klimaanlage vorgeschrieben. Statt sich mit seinem einzigartigen Gebäude und den Sammlungen aus acht Jahrhunderten zu profilieren, versuche die Staatliche Kunsthalle das zu machen, was alle machten: Kunstwerke samt vielköpfiger Crew international durch die Welt zu fliegen.

Die wechselnden Ausstellungen sollen mit der Museumsbibliothek und der Verwaltung im Erweiterungsgebäude untergebracht werden. Doch in eben jenem Gebäude, das den Tunnel und die schiefe Rampe überhaupt erst nötig macht, ist gegenwärtig das Amtsgericht Karlsruhe untergebracht. Bevor eine Erweiterung der Kunsthalle also überhaupt möglich ist, muss erst das Amtsgericht einen neuen Ort finden. Das baden-württembergische Justizministerium blockt Anfragen dazu ab und verweist auf das Finanzministerium. Im Haus des grünen Finanzministers Danyal Bayaz sieht man sich nicht in der Lage eine „belastbare Aussage“ zur Erweiterung der Staatlichen Kunsthalle zu treffen. Die Planungen seien noch ganz am Anfang. Ob und wann ein Umzug des Amtsgerichts möglich sei, ließ das Ministerium offen.

Kollhoff äußert Zweifel, ob das ebenfalls denkmalgeschützte Gebäude des Amtsgerichts sich überhaupt als Kunstfläche eignet. „Um die Amtsgerichtsvilla als Ausstellungsgebäude zu nutzen, müsste sie auf rabiate Weise umgebaut werden.“ Das Gebäude sei zu beengt, um ohne große Veränderungen einen großen Ausstellungsraum aufzunehmen.

Schließung für mindestens sieben Jahre

Trotz der vielen Unklarheiten soll der Umbau der Staatlichen Kunsthalle Anfang 2024 beginnen. Im vergangenen Jahr zogen bereits die Bibliothek und die Büros an einen neuen Interimsstandort um. Die Sammlung der etwa 3.600 Gemälde, 400 Skulpturen und fast 100.000 Aufzeichnungen soll in den kommenden Monaten folgen. Wesentliche Teile der Sammlung sollen ab Ende April für fünf Jahre im ZKM (Zentrum für Kunst und Medien) zu sehen sein. Der Termin für den Umzug auf die etwa 2.000 Quadratmeter große Interimsfläche wurde bereits mehrfach verschoben. Grund sei die derzeitige Lage im Baugewerbe, hieß es von der Staatlichen Kunsthalle.

Ob sich diese Lage während der auf vier Jahre angesetzten Bauzeit verbessern wird, ist auch angesichts der Erfahrungen aus Großprojekten zweifelhaft. Für die Sanierung des Haupthauses hat das Land 118 Millionen Euro im Staatshaushalt eingeplant. Die Erweiterung und der Tunnel seien aufgrund der fehlenden Planbarkeit bezüglich des Amtsgerichts „bislang weder mit einem Zeit- noch mit einem Kostenrahmen unterlegt“, erklärt das Finanzministerium Trotzdem werden Fakten geschaffen, die Alternativen immer schwieriger machen. Ob die insgesamt sieben Jahre zwischen Schließung und Neueröffnung der Staatlichen Kunsthalle zu halten sind, ist daher ebenso offen wie die baurechtliche Genehmigung für die geplante Sanierung des an vielen Stellen brüchigen Gebäudes. Architekt Kollhoff ist skeptisch, ob die riskanten Eingriffe in den wertvollen Bau umzusetzen sind. „Man spürt, bei diesem mühsamen Parcours geht es unter massiven Eingriffen in das denkmalgeschützte Ensemble um jeden Zentimeter.“ Durch die Komplexität ist für ihn ein „baukonstruktive Debakel vorprogrammiert.“

Kontext-Wochenzeitung