Florian Kaufmann

Freier Journalist

Die verlorenen Kocher von Ruanda

In Ramiro, einem Dorf im Südosten Ruandas, stehen einige junge Männer mit Motorrädern an der zentralen Kreuzung. Sie warten auf Fahrgäste, die sie in den nächsten Ort chauffieren können. Als wir sie auf die in Ramiro verteilten energiesparenden Kochöfen ansprechen, lachen sie laut. „Jeder hat einen zu Hause, aber niemand benutzt ihn“, sagt einer. Die meisten seien wieder zur traditionellen Methode mit drei Steinen zurückgekehrt. „Ich habe ihn zerlegt und das Metall verkauft“, sagt ein anderer aus der Gruppe. Umgerechnet knapp 20 Cent gebe es für ein Kilo Metall auf dem ruandischen Markt. 

Neben Aufforstungen im Amazonas oder der Renaturierung von Mooren gehört die Verteilung von Kochgeräten in den ärmsten Teilen der Welt zu den häufigsten Klimaschutzprojekten am Markt für CO2-Kompensationen. Denn fast drei Milliarden Menschen kochen noch auf offenem Feuer oder mit Kohle und verursachen damit einen großen Teil der Kohlendioxid-Emissionen in Entwicklungsländern. 

Grüne Küche in Afrika?

Mit effizienten Koch­öfen soll weniger Holz als bei traditionellen Kochmethoden auf offenem Feuer verbrannt und so der CO2-Ausstoß um bis zu 80 Prozent reduziert werden, versprechen die Hersteller. Bislang konnte der Erfolg der Kocher-Projekte wissenschaftlich nicht eindeutig belegt werden. Trotzdem wetteifern gleich mehrere Anbieter mit verschiedenen Modellen um einen Platz in den afrikanischen Küchen.

Das nach eigenen Angaben weltweit größte Kocher-Projekt unternimmt das britische Sozialunternehmen Del-Agua auf dem afrikanischen Kontinent. Im kleinen Binnenstaat Ruanda sollen bereits über eine Million Kochöfen verteilt worden sein. Seit Anfang 2023 expandiert Del-Agua in vier weitere afrikanische Länder: Burundi, Gambia, Liberia und Sierra Leone. Andere Länder sollen folgen. Del-Agua zielt auf die „am wenigsten entwickelten Länder“ des Kontinents und wolle langfristig alle ländlichen Haushalte mit einem Kocher ausstatten.

Möglich machen das die Erlöse aus dem Verkauf von Kompensationszertifikaten. Westliche Firmen erwerben sie, um ihre Produkte oder Dienstleistungen als „klimaneutral“ anpreisen zu können. Dieser freiwillige Kompensationsmarkt, der nicht mit dem verpflichtenden Emissionshandel zu verwechseln ist, wächst enorm. „Vor zehn Jahren haben wir mit dem Ziel von 2000 Kochern in Ruanda angefangen. Die können wir heute in zwei Stunden verteilen“, sagte Del-Agua-Gründer Neil McDougall bei der Feier anlässlich der Verteilung des millionsten Kochers.

Geschenktes wird nicht genutzt

Der frühere Immobilienunternehmer, der unter anderem in Oberhausen und Hamburg und lange in Liberia tätig war, kam 2012 nach Ruanda. „Ich wollte Afrika etwas zurückgeben und Charity machen.“ Doch schnell lernte er, dass mit den Kochern ein gutes Geschäft möglich ist. Zumindest dann, wenn die Kocher in großen Mengen produziert und verteilt werden.

Ein Schlüssel für das rasante Wachstum von Del-Agua ist die kostenlose Verteilung der Kocher. Jeder Haushalt erhält einen Kochofen gratis. Eigentümerin bleibt Del-Agua. An diesem Modell gibt es massive Kritik. „Der Markt bricht zusammen, wenn sich Menschen an freie Verteilung gewöhnen“, sagt Iwona Bisaga, die das weltweite Netzwerk Clean Cooking Alliance wissenschaftlich begleitet. Kostenlose Produkte würden häufiger ungenutzt in der Ecke stehen.

Das bestätigt Juliet Kabera, die Direktorin der nationalen Umweltbehörde Ruandas. Vom auf große Masse ausgelegten Konzept von Del-Agua hält sie nichts. „Das Modell der Verteilung ist falsch. Der Kocher muss erschwinglich, darf aber nicht kostenlos sein.“ Dies überrascht, präsentiert sich doch ihre Dienstherrin, die Umweltministerin Jeanne d’Arc Mujawamariya, als große Unterstützerin von Del-Agua und verhandelte aufseiten der ruandischen Regierung die Verträge mit dem Unternehmen mit.

Wie sich die Firmen grün rechnen

Um sicherzustellen, dass die Projekte tatsächlich CO2 einsparen, haben Zertifizierungsorganisationen wie Gold Standard oder Verra eigene Klimaschutzstandards eingeführt. Sie sollen Projekte überwachen und ihnen bei Erfolg die entsprechenden Einsparungen bescheinigen. Die Projektverantwortlichen müssen ein eigenes Monitoring durchführen, das stichprobenartig auditiert wird. Einer dieser Auditoren ist Muchiri Waititu. Er sieht Schwächen im System. Im Verifizierungsprozess stehe am Ende immer der Faktor Mensch. „Wir haben ein Problem mit der Integrität auf unserem Kontinent“, sagt Waititu. „Eine Person kann behaupten, 20 Öfen ausgegeben zu haben. Das ist kaum zu kontrollieren.“ 

Doch das Problem ist grundsätzlicher. Die Kompensationsprojekte eint eine Tendenz, die eigene Klimawirkung zu überschätzen. Um die eingesparte Menge an CO2 zu ermitteln, werden die Emissionen mit und ohne das jeweilige Kompensationsprojekt miteinander verglichen. Die zweite Zahl ist dabei eine rein hypothetische. Die Projektanbieter erzählen eine Geschichte, was gewesen wäre, hätte es das Projekt nicht gegeben. Entsprechend unterschiedliche Ausgangs­szenarien entwerfen die verschiedenen Kocheranbieter in Ruanda. Während die einen von einem Holzverbrauch von elf Kilogramm pro Tag mit traditionellen Kochmethoden ausgehen, kalkulieren andere mit fast 14 Kilogramm. Je höher der Ausgangswert, umso mehr CO2-Einsparungen lassen sich über Zertifikate verkaufen. 

Ein realitätsferner Markt

Der Markt ist inzwischen unüberschaubar. Neben Del-Agua verteilen in Ruanda Atmosfair und Brot für die Welt aus Deutschland, die britische Firma CO2 Balance, Likano aus Österreich und andere eigene Kochermodelle. Das Angebot ist so konfus, dass sich in vielen ruandischen Haushalten mehrere unterschiedliche emissionsreduzierte Kocher finden. Die zuständige Energiebehörde scheint längst den Überblick verloren zu haben und ließ mehrere Anfragen zur Anzahl der im Land verteilten Kocher unbeantwortet. Die von den verschiedenen Anbietern angestrebte Menge an zu verteilenden Kochern übersteigt mit fast vier Millionen die Anzahl der ländlichen Haushalte, an die sie verteilt werden sollen, um fast das Doppelte. 

Angetrieben durch ein gesteigertes Klimabewusstsein wächst eine Industrie, die sich von den eigentlichen klimapolitischen Zielsetzungen zunehmend entkoppelt. So ist der reale Holzverbrauch zum Kochen in Ruanda trotz der intensiven Kocherverteilung kaum zurückgegangen. „Die Reduzierung des Holzverbrauchs ist sehr gering“, sagt die nationale Umweltdirektorin Kabera.

Doch dem Wachstum des Kompensationsmarkts scheinen keine Grenzen gesetzt. Es herrscht Goldgräberstimmung. „Hier sind einige Kohlenstoff-Cowboys unterwegs“, sagt ein Brancheninsider. Ironischerweise spricht man in Ruanda nicht von „frisierten“, sondern von „gekochten“ Zahlen, wenn man meint, dass hier betrogen wird. Und Dörfer Tausende Kilometer entfernt von Konzernzentralen, NGO-Büros und Zertifizierungsstellen scheinen ein perfekter Ort zu sein, um Zahlen zu kochen.

Cicero