Florian Kaufmann

Freier Journalist

Mietprofite statt Manufakturkeramik

Die Arbeit mit Keramik ist ein ruhiges Handwerk. Mit viel Mühe und Sorgfalt werden in stundenlanger Handarbeit Vasen, Tassen oder Fliesen hergestellt. Im Gegensatz zur Industrieware ist in der Keramikmanufaktur jedes fertige Stück ein Unikat. Seit einigen Wochen aber sind die ruhigen Zeiten in der Karlsruher Majolika-Manufaktur vorbei und der feuchte Tongeruch der Keramikherstellung selten geworden. Ein privater Investor hat den Traditionsbetrieb übernommen, und die Geschichte dahinter erzählt weniger von einzigartigen Kunstwerken als von einem Wirtschaftskrimi.

Bei vielen Freund:innen, Mieter:innen und Beschäftigten der Majolika herrscht derzeit Alarmstimmung. Seit Oktober 2022 ist die Manufaktur in privaten Händen. Eine der verzweigten Firmen des Immobilienkonzerns Gröner Group hat den Betrieb übernommen und versucht derzeit zusätzlich die Kontrolle über das gesamte Areal am Rande des Karlsruher Schlossparks zu erlangen.

Die Majolika gibt es seit rund 120 Jahren, sie schrieb mehr als ein Drittel der Karlsruher Kulturgeschichte mit. 1901 gründete der badische Großherzog Friedrich den Betrieb als „Großherzogliche Majolika-Manufaktur“, lange war das Land Baden, dann Baden-Württemberg Eigentümer, bevor 1999 die Landesbank übernahm. Im Zuge der Finanzkrise trennte sich die Bank 2011 von der Manufaktur und gab sie für einen symbolischen Euro in die Hände der Stadt Karlsruhe, die sie ihrerseits in eine Stiftung übertrug.

Keramikproduktion macht Verluste

Mehrfach war die Majolika-Manufaktur von Krisen geplagt. Wirtschaftliche Probleme ziehen sich durch die Historie, 2015 sollte die Produktion bereits eingestellt werden. In den letzten Jahren bezuschusste die Stadt Karlsruhe den Betrieb mit insgesamt über zwei Millionen Euro. Mit neu konzipierten Künstler-, Bildungs- und Ausstellungsprogrammen wurde die Manufaktur 2020 als gemeinnützige Organisation neu aufgestellt. Mit zeitgemäßen und außergewöhnlichen Kunst- und Kulturprojekten wollte sie wieder an einstige Blütezeiten anknüpfen.

Doch im Sommer vergangenen Jahres zog die Stiftung die Reißleine. Bereits seit vielen Jahren versuchte sie mit der Stadt Karlsruhe, Betrieb und Immobilie der Majolika an einen Investor zu verkaufen. Einige Anläufe scheiterten, da von Kaufwilligen immer auch ein Konzept zur Weiterführung der Keramikproduktion verlangt wurde. Das konnte keiner bieten.

Im September gab die Stiftung bekannt, die Majolika an einen Immobilienkonzern verkauft zu haben. „Die Gröner Group ist ein sehr aktives, äußerst erfolgreiches Unternehmen mit zahlreichen Großprojekten und bedeutenden städtebaulichen Vorhaben in und um Karlsruhe“, sagt der Stiftungsvorstand Klaus Lindemann. Da die Unternehmensgruppe um den in Karlsruhe aufgewachsenen Christoph Gröner bereit sei, neben der Manufaktur auch die Immobilie zu übernehmen, bestehe die „Chance für einen neuen Aufschwung für die traditionsreiche Keramik-Kunst-Werkstatt“, so Lindemann.

Wer gab das Geld?

Ein Konzept, wie die Keramikproduktion auf wirtschaftlich gesunde Füße gestellt werden sollte, kannte er zu dem Zeitpunkt nicht. Auch der Stadt lag kein Plan des Investors vor. Das hielt Kulturbürgermeister Albert Käuflein nicht davon ab, ein „gutes Gefühl“ zu äußern. Er gehe davon aus, dass der Immobilienkonzern „die traditionsreiche Manufaktur in eine gute Zukunft führen wird“. Zwischenzeitlich soll die Gröner Group der Stadtspitze ein Konzept vorgelegt haben. Fragen dazu will die Stadt nicht beantworten. Auch die Gröner Group ließ alle Anfragen unbeantwortet.

Wer tatsächlich hinter dem Kauf des Kulturdenkmals steckt, ist nach Kontext-Recherchen derweil unklar. Formal wurde der Betrieb in einer verschachtelten Firmenkonstruktion von einer GmbH gekauft, die direkt Christoph Gröner und seiner Familie gehört. Auf dem Papier ist ein 29-jähriger Geschäftsführer aus Berlin eingesetzt. Vor Ort führt derweil faktisch ein Mann die Geschäfte, der sich Thomas Scherer nennt. Unter diesem Namen ist er bereits 2018 in Freudenstadt aufgetreten und hat sich als neuer Eigentümer eines Hotels präsentiert, das auch Standorte in Bad Bergzabern und Bad Herrenalb unterhält.

Bekannter ist Scherer unter dem Namen Thomas Heeger. Bis in die 2000er-Jahre war der 68-Jährige Kopf der Heeger-Unternehmensgruppe, die von Karlsruhe aus bundesweit in Immobilien investierte. Um die Jahrtausendwende geriet die Gruppe aber in finanzielle Schwierigkeiten und in der Folge auch ins Visier der Staatsanwaltschaft, die wegen Betrug und Insolvenzverschleppung ermittelte. Handwerksbetriebe, Banken und private Kleininvestoren klagten über ausstehende Zahlungen sowie falsche Angaben und Garantien der auf die Sanierung von Altbauten und anschließender Vermarktung als Eigentumswohnungen spezialisierten Immobiliengruppe.

Mit dabei war damals schon Christoph Gröner. Heeger hatte ihn als Generalbevollmächtigten eingesetzt, der sich besonders um die Geschäfte der Heeger-Gruppe in Leipzig kümmerte. Gröner und Heeger kannten sich bereits aus Karlsruhe. Im damals mit vielen Subventionen geförderten Leipziger Wohnungsmarkt sahen sie große Chancen. „Als Geschäftsmann in Karlsruhe weitgehend am Ende meiner Möglichkeiten angelangt, erhielt ich von meinen Partnern 1995 die klare Ansage, dass meine Zukunft in Leipzig läge“, sagt Gröner im Rückblick im firmeneigenen Magazin.

Alte Bekannte von der Anklagebank

Bevor Gröner aber mit dem Grundstein in Leipzig einen der heute größten Immobilienkonzerne aufbauen konnte, geriet er mit Heeger nicht nur in den Strudel von Betrugsvorwürfen, sondern stand auch im Mittelpunkt einer Korruptionsaffäre. Er und sein Geschäftspartner Heeger sollen dem damaligen Leipziger CDU-Oberbürgermeisterkandidaten 50.000 Euro an Spenden zur Verfügung gestellt haben, berichtete Gröner 2004 der „Leipziger Volkszeitung“. „Wir haben den halben Wahlkampf finanziert“, sagte er weiter. Zur Verschleierung soll die CDU die Spenden so gestückelt haben, dass sie nicht mehr meldepflichtig sind. Einer der beschuldigten CDU-Politiker wurde später wegen Korruption verurteilt.

Für Gröner und Heeger endeten die Ermittlungen im Zusammenhang mit ihren Immobiliengeschäften mit überschaubaren Folgen. Heeger wurde vom Landgericht Mannheim 2008 wegen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Gegen Gröner wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage in Höhe von 72.000 Euro eingestellt. Auch die anderen Verfahren um die Handwerksbetriebe wurden eingestellt, berichtet „Stiftung Warentest“. Gröner verlagerte kurz darauf seinen Sitz von Leipzig nach Berlin und begann mit der Entwicklung von Neubauprojekten eine in seinen Augen „einzigartige Erfolgsgeschichte“. Heeger tilgte im Verlauf der 2000er-Jahre dagegen seinen Namen aus all seinen Immobilienfirmen und agiert seither in einem ähnlich vielschichtigen Firmensystem wie die Gröner Group im Hintergrund. Auch die Hotelgeschäfte laufen offiziell auf den Namen seiner Frau.

Einige Wochen nach der Übernahme fragten auch die Beschäftigten der Majolika-Manufaktur bei den neuen Eignern nach, wer denn tatsächlich die Geschäfte führe, Prokura habe, wie denn die Gesellschaftsform sei und wie es beispielsweise mit den Bildungsangeboten des Betriebs weitergehe. Berechtigte Fragen, aber auch diesen Brief ließen die Investoren unbeantwortet.

Manufaktur als Anhängsel für Vermietungsgeschäft

So kreuzten sich spätestens in der Majolika wieder die Wege der beiden Immobilienunternehmer, wobei weder Gröner noch Heeger bislang mit Erfahrungen in der Keramik aufgefallen sind. Stattdessen versucht der vormals unter Heeger bekannte Scherer das Vermietungsgeschäft anzukurbeln. Büros und Lager der Manufaktur werden geräumt, um Platz zu schaffen für die Untervermietung, die von den Investoren augenscheinlich als lukrativster Teil des Engagements in der Majolika gesehen wird. Bereits vor der privaten Übernahme hatte der damalige Geschäftsführer versucht, die leerstehende Räume an Künstler:innen unterzuvermieten und so die Manufaktur querzusubventionieren. Der städtische Vermieter KVVH, die Karlsruher Versorgungs-, Verkehrs- und Hafen GmbH, schob dem einen Riegel vor und reklamierte die Einnahmen für sich. Mit der geplanten Übernahme des Gebäudes bauen die neuen Investoren nun auf andere Vorzeichen.

An einen wirtschaftlichen Betrieb der Manufaktur glauben die Immobilienunternehmer offenkundig nicht. Ein halbes Jahr nach der Übernahme steht die Produktion zumeist still. „Da läuft im Großen und Ganzen gar nichts mehr, weil sich niemand mehr kümmert“, heißt es aus der Belegschaft. Die Handvoll verbliebener Beschäftigter würden aus eigenem Antrieb mal eine Vase aus dem Keller restaurieren. Vorgaben oder gar ein Konzept kämen weder von der formalen noch der faktischen Geschäftsführung. Bemühungen um neue Aufträge gebe es nicht. „Das Prestigeprojekt der Keramik-Grabsteine für den Berliner Senat wurde gestoppt“, sagt Lutz Schäfer, einer der Mieter auf dem Majolika-Areal.

Im Dezember starteten die neuen Investoren immerhin einen Versuch, Keramik zu verkaufen, und riefen die Ausstellung „Wunderbare Weihnachtswelt“ ins Leben. Doch statt Qualitätsprodukte aus der Manufaktur gab es dort vor allem billige Massenware. Nicht nur Lutz Schäfer wunderte sich über die vielen Plastikprodukte „Made in China“, die in LKW-Ladungen in die Verkaufsgalerie gefahren wurden. Majolika-Keramiken waren kaum noch zu finden. „Das ist ein kultureller Offenbarungseid“, sagt Schäfer. „Alle Zeichen deuten darauf, dass man mit Fleiß die traditionelle Manufaktur an die Wand fährt.“ Mit ihren mauen Besucherzahlen dürfte die Ausstellung das finanzielle Loch der Majolika-Manufaktur letztlich eher noch vergrößert haben als es zu schließen.

Stadt will Gebäude in Erbpacht abgeben

Die versprochenen finanziellen Garantien der neuen Investoren sind derweil beim Noch-Vermieter der Majolika kaum angekommen. Seit der Übernahme sollen sich Mietschulden im mittleren fünfstelligen Bereich bei der Stadttochter KVVH angesammelt haben. Mit der ausstehenden Miete könnte auch der Druck auf die Stadt in den laufenden Verhandlungen über eine Übernahme des Gebäudes in Erbpacht erhöht werden. In den Gesprächen zwischen Finanzbürgermeisterin und Gröner Group, an denen auch Scherer teilnimmt, soll es dem Vernehmen nach vor allem um die Laufzeit, Höhe und Zahlungsmodalitäten der Erbpacht gehen. Die Ergebnisse sollen Mitte März dem Karlsruher Gemeinderat vorgestellt werden. Zu der Sitzung wird auch Christoph Gröner selbst erwartet.

Die von einigen befürchtete Umwandlung des Majolika-Areals in Eigentumswohnungen dürfte es in absehbarer Zeit nicht geben. Nicht zuletzt die Auflagen in Sachen Denkmal- und Naturschutz sind in dem Gebiet sehr hoch. Dennoch ist der Investitionsbedarf gewaltig. Das Gebäude ist nicht nur in Sachen Brand- und Arbeitsschutz längst nicht mehr zeitgemäß. Ein im Sommer von der KVVH bestellter Gutachter wurde wieder abgerufen, nachdem er fehlende Unterlagen und Genehmigungen einforderte. Doch der Zustand passt zum Geschäftsmodell vieler Heeger-Immobilien. Die Räume bis in die letzte Ecke vermieten und ohne große Investitionen auf einen langen Bestand hoffen. Davon zeugt eine Begegnung in einer Heeger-Immobilie. Mit Blick auf ein daneben liegendes, kleines Mehrbettzimmer für Arbeitsmigranten sagte er mal: „Das ist eine Gelddruckmaschine. Das ist wie ein Asylantenheim.“

Wie die Stadt und die Gröner Group ließ auch die Majolika-Stiftung alle Kontext-Anfragen zum Thema unbeantwortet. Mit dem Verkauf der Manufaktur hat die Stiftung den Investoren gegenüber der Stadt ein weiteres Druckmittel für die Erbpacht des Gebäudes in die Hand gegeben. Würde die Stadt das Gebäude nicht oder nicht zu den gewünschten Bedingungen abgeben, könnte die Manufaktur verkauft oder in die Insolvenz überführt werden. Schon jetzt lehnt die KVVH Mietanfragen für ihre Räume in der Majolika vor dem Hintergrund eines anstehenden Besitzerwechsels ab. Die Stadt Karlsruhe und die von öffentlichen Geldern aus Stadt und Land geförderte Majolika-Stiftung könnten sich so eines langjährigen Problems entledigen. Ein Dienst an der Kultur und der Keramikkunst dürfte damit kaum verbunden sein.

Kontext-Wochenzeitung